18. September 2019
Kontinuierliche Verbesserungen im Rüstprozess bei KIRCHHOFF Automotive

Im Vorfeld des Unternehmertreffs „Digital ist nicht gleich digital“ hatte sich so mancher gefragt, ob die Digitalisierungsmaßnahmen eines international erfolgreichen Automobilzulieferers mit über 9.000 Mitarbeitenden überhaupt als praxisnahes Beispiel für Mittelständler geeignet sind. Die Antwort: eindeutig ja! Auch KIRCHHOFF Automotive sucht nicht den „großen Wurf“, sondern testet gezielt Verbesserungen für den Ablauf des Rüstprozesses.
Der Rüstprozess an einer Umformanlage für Karosseriebauteile hat es in sich: Die Laufwege der zwei verantwortlichen Mitarbeitenden addieren sich bei einem nicht optimalen Prozess ohne weiteres bis zu einer Länge von einem Kilometer, denn die aufeinander aufbauenden Arbeitsschritte der Beschäftigten müssen sehr gut aufeinander abgestimmt sein – was nicht ganz einfach ist, wenn sie weder in Sicht- noch in Hörweite voneinander agieren müssen.
Die Frage, wie man Rüstzeiten stabilisieren und langfristig verkürzen kann, beschäftigte die Verantwortlichen bei KIRCHHOFF Automotive im Werk Attendorn schon eine ganze Weile. Dass hier mit Checklisten auf Papier langfristig nicht viel zu gewinnen war, lag für den Lean Management Experten Björn Wollny auf der Hand: „Sowas landet bei den meisten Beschäftigten schnell in einer Schublade, und das war’s dann. Solche Listen verursachen Mehraufwand und sind einfach keine praxisgerechte Unterstützung.“
Informationen wann und wo sie gebraucht werden
Bei
einer Informationsveranstaltung der Universität Siegen wurde man bei
KIRCHHOFF Automotive erstmals auf digitale Unterstützungsmöglichkeiten
für den Rüstprozess aufmerksam. Allerdings war auch schnell klar, dass
die dort gezeigte Übermittlung von Arbeitsanweisungen an Smart Glasses
unter anderem wegen des geringen Tragekomforts nicht der geeignete Weg
war. Aber das Prinzip, die entsprechenden Informationen während der
Arbeit unmittelbar an die Mitarbeitenden zu übertragen, schien genau das
richtige zu sein – nicht zuletzt, weil sich Rüstprozesse bei KIRCHHOFF
Automotive auf Grund kontinuierlicher Verbesserungsmaßnahmen stetig
ändern.
Und man ging noch einen Schritt weiter: Warum sollen
Informationen nur in eine Richtung fließen? Wenn man z. B. die Dauer
einzelner Arbeitsschritte erfassen kann, erhält man wertvolle Hinweise,
die zu weiteren Optimierungen oder zielgerichteten Analysen führen
können.
Nicht zu unterschätzen: Tragekomfort und Usability
Gemeinsam
mit Beschäftigten des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Siegen suchten
die Verantwortlichen bei KIRCHHOFF Automotive daher nach einem
niedrigschwelligen Medium, das komfortabel zu tragen ist und ein
unkompliziertes Handling erlaubt – auch wenn man Arbeitshandschuhe
trägt. Die Lösung fanden sie in einer Smart Watch, für die die Siegener
Spezialisten in kurzer Zeit eine Prototyp-App entwickelten. Anhand
dieses Prototyps konnten die ersten Tests gefahren und das Feedback der
Beschäftigten eingeholt werden. Den Verantwortlichen war besonders
wichtig, Mitarbeitende und Betriebsrat von vornherein an allen
Entscheidungsprozessen zu beteiligen, um Ängste vor übermäßiger
Kontrolle auszuräumen und den Blick auf die Vorteile zu lenken.
Die
erforderlichen einzelnen Arbeitsschritte des jeweiligen Rüstprozesses
werden den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nun „live“ angezeigt, und
die Dauer der Abarbeitung der einzelnen Schritte wird erfasst. Sie haben
die Möglichkeit, über die Smart Watch Feedback über Probleme mit den
Checklistenpunkten zu übermitteln. Der hohe Tragekomfort, die einfache
Bedienung und die Möglichkeit zum Feedback sorgen insgesamt für eine
hohe Akzeptanz dieser digitalen Lösung.
Das Unternehmen nutzt
zukünftig die erfassten Daten für eine Analyse aller Schritte des
jeweiligen Rüstvorgangs. Die Daten werden mit Open-Source-Modulen
erfasst, gespeichert und ausgewertet, bzw. visualisiert. Die Verbindung
zwischen den Modulen wird über eine Schnittstelle nach OPC UA – Standard
erzeugt.
„Der besondere Vorteil dieser Lösung“, sagt Björn Wollny,
„liegt in dem schnellen Prototyping, losgelöst von bestehenden Systemen.
Aber nach Fertigstellung ist die App schnell über die genutzten
e-Standards in die bestehende Systemlandschaft integrierbar.“
Fazit
Wie bei vielen anderen Unternehmertreffs der Reihe „Digital ist nicht gleich digital“ zeigt sich auch hier, dass kleine und mittlere Unternehmen gut beraten sind, bei der Suche nach digitalen Lösungen zur Verbesserung ihrer Prozesse besonderes Augenmerk auf folgende Themen zu lenken:
- Praktikable Anwendungen, die den eigentlichen Arbeitsprozess nicht stören
- Einfache Anwendung
- Frühe Einbeziehung von Belegschaft und Betriebsrat für hohe Akzeptanz
- Schrittweise Annäherung an die finale Lösung, Prototyping
Quelle: Ulrich Hardt / Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum eStandards c/o HAGENagentur
www.estandards-mittelstand.de